Russland:Evangelisch-lutherische Kirche in Podstepnoje (damals deutsche Kolonie Rosenheim), Saratower Gebiet: Unterschied zwischen den Versionen

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Von allen deutschen Kirchen der Wolga-Region befindet sich eine der am besten erhalten gebliebenen im Dorf Podstepnoje (früher die deutsche Kolonie Rosenheim, gegründet 1765). Zur relativen Erhaltung dieser lutherischen Kirche trug die längere Nutzung des Gebäudes zu Kulturzwecken bei: Zu Sowjetzeiten war hier ein Dorfclub untergebracht. Auch heute sind in der Kirche noch die Reste des roten Samtvorhangs bemerkbar, der hier nach der Verwandlung der Kirche in einen Freizeitort angebracht worden war.   
 
Von allen deutschen Kirchen der Wolga-Region befindet sich eine der am besten erhalten gebliebenen im Dorf Podstepnoje (früher die deutsche Kolonie Rosenheim, gegründet 1765). Zur relativen Erhaltung dieser lutherischen Kirche trug die längere Nutzung des Gebäudes zu Kulturzwecken bei: Zu Sowjetzeiten war hier ein Dorfclub untergebracht. Auch heute sind in der Kirche noch die Reste des roten Samtvorhangs bemerkbar, der hier nach der Verwandlung der Kirche in einen Freizeitort angebracht worden war.   
  
 
Bis heute fühlt man in der Außengestaltung der 1886 erbauten Kirche die Nachahmung des Klassizismus, die in Kirchen zu dieser Zeit üblich war. Der Vorraum in Form einer Säulenhalle mit dreieckiger Front im Zentrum der Hauptfassade verleiht der Kirche eine gewisse Festlichkeit. Auch auf den Seitenfassaden sind Säulen platziert, hinter denen sich die Seiteneingänge der Kirche befinden. Bis heute sind die Türen aus Eichenholz und die Fensterrahmen erhalten geblieben, an manchen Stellen ist auch das mit den Fragmenten des Eisenblechs bedeckte Dach noch unbeschädigt geblieben.  
 
Bis heute fühlt man in der Außengestaltung der 1886 erbauten Kirche die Nachahmung des Klassizismus, die in Kirchen zu dieser Zeit üblich war. Der Vorraum in Form einer Säulenhalle mit dreieckiger Front im Zentrum der Hauptfassade verleiht der Kirche eine gewisse Festlichkeit. Auch auf den Seitenfassaden sind Säulen platziert, hinter denen sich die Seiteneingänge der Kirche befinden. Bis heute sind die Türen aus Eichenholz und die Fensterrahmen erhalten geblieben, an manchen Stellen ist auch das mit den Fragmenten des Eisenblechs bedeckte Dach noch unbeschädigt geblieben.  
  
[[Datei: RUSSLAND_123_2.jpg|750px|thumb|left|Evangelische Kirche in Podstepnoje ©Alexander Milewskij, 2021]]
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Im Inneren kann man über die halb zerstörte Treppe, die keine Geländer mehr hat, in die erste Etage hinaufsteigen. Früher mussten sich hier auf den handgeschnitzten Balkonen unter dem halbrunden hölzernen Gewölbe während der Gottesdienste unverheiratete Mädchen und junge Männer aufhalten, während sich die anderen Kirchgänger im Erdgeschoss befanden, wo Sitzbänke für 1.200 Plätze standen.
 
Im Inneren kann man über die halb zerstörte Treppe, die keine Geländer mehr hat, in die erste Etage hinaufsteigen. Früher mussten sich hier auf den handgeschnitzten Balkonen unter dem halbrunden hölzernen Gewölbe während der Gottesdienste unverheiratete Mädchen und junge Männer aufhalten, während sich die anderen Kirchgänger im Erdgeschoss befanden, wo Sitzbänke für 1.200 Plätze standen.
  
Die Kirche wurde von einer Gemeinde gebaut, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast 5.000 Menschen zählte, nachdem die vorherige hölzerne Kirche während eines nächtlichen Brandes abgebrannt war.  
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Die Kirche wurde im Jahre 1886 errichtet, nachdem die vorherige hölzerne Kirche während eines nächtlichen Brandes abgebrannt war. Die Gemeinde zählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast 5.000 Menschen.
  
 
Der dreistöckige Turm, der in den 1930er Jahren demontiert wurde, war früher von einer Kuppel mit durchbrochenem Kreuz gekrönt. Die prächtige Innenausstattung der Kirche rundete die Orgel der bekannten deutschen Firma „Walcker“ aus Ludwigsburg ab, die 1886 hergestellt und nach Russland gebracht und in den 1930er Jahren zerstört wurde.  
 
Der dreistöckige Turm, der in den 1930er Jahren demontiert wurde, war früher von einer Kuppel mit durchbrochenem Kreuz gekrönt. Die prächtige Innenausstattung der Kirche rundete die Orgel der bekannten deutschen Firma „Walcker“ aus Ludwigsburg ab, die 1886 hergestellt und nach Russland gebracht und in den 1930er Jahren zerstört wurde.  
  
[[Datei: RUSSLAND_123_3.jpg|750px|thumb|left|Evangelische Kirche in Podstepnoje ©Alexander Milewskij, 2021]]
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[[Datei: RUSSLAND_123_3.jpg|750px|thumb|left|Evangelische Kirche in Podstepnoje © Alexander Milewskij, 2021]]
 
Die antireligiöse Politik des Staates und die Emigration des Pfarrers in den Jahren der Sowjetmacht führten dazu, dass sich ein Teil der Gemeinde von Rosenheim einer kirchlichen Organisation anschloss, die mit der Sowjetmacht zusammenarbeiten wollte (ähnlich der Bewegung zum Wiederbeleben der Russisch-Orthodoxen Kirche).  
 
Die antireligiöse Politik des Staates und die Emigration des Pfarrers in den Jahren der Sowjetmacht führten dazu, dass sich ein Teil der Gemeinde von Rosenheim einer kirchlichen Organisation anschloss, die mit der Sowjetmacht zusammenarbeiten wollte (ähnlich der Bewegung zum Wiederbeleben der Russisch-Orthodoxen Kirche).  
  
 
1925 stellte das Gebietskomitee der kommunistischen Partei in einem geheimen Bericht fest, dass es im Dorf eine kirchliche Spaltung gab und die beiden Gruppen von Gläubigen Anspruch auf die Nutzung des Kirchengebäudes erhoben. Daraufhin beschlossen die Behörden 1929 mit Verweis auf die fehlende Einigkeit zwischen den religiösen Gruppen, „die Rosenheimer Kirche den beiden Gruppen der Gläubigen zu entziehen und für Kultur- und Aufklärungszwecke zu nutzen“. Obwohl die Gläubigen wiederholt die Rückgabe des Gotteshauses beantragten, wurde die Kirche nie zurück an die Gemeinde übergeben.  
 
1925 stellte das Gebietskomitee der kommunistischen Partei in einem geheimen Bericht fest, dass es im Dorf eine kirchliche Spaltung gab und die beiden Gruppen von Gläubigen Anspruch auf die Nutzung des Kirchengebäudes erhoben. Daraufhin beschlossen die Behörden 1929 mit Verweis auf die fehlende Einigkeit zwischen den religiösen Gruppen, „die Rosenheimer Kirche den beiden Gruppen der Gläubigen zu entziehen und für Kultur- und Aufklärungszwecke zu nutzen“. Obwohl die Gläubigen wiederholt die Rückgabe des Gotteshauses beantragten, wurde die Kirche nie zurück an die Gemeinde übergeben.  
  
Zurzeit besuchen nicht nur die Nachkommen der 1941 deportierten deutschen Lutheraner die Kirche, sondern auch einfache Touristen, um für die Zerstörung von tausenden Kirchen um Vergebung zu bitten und den Architekten, Bauarbeitern und Gläubigen ihren Respekt zu erweisen.{{#newBox:listbox}}
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Zurzeit besuchen nicht nur die Nachkommen der 1941 deportierten deutschen Lutheraner die Kirche, sondern auch einfache Touristen.{{#newBox:listbox}}
 
== Text ==
 
== Text ==
Prof. Dr. Sergey Terekhin , Prof. Dr. Olga Litzenberger
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Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger
 
== Standortinformationen ==
 
== Standortinformationen ==
 
'''Evangelisch-lutherische Kirche in Podstepnoje (damals deutsche Kolonie Rosenheim), Saratower Gebiet'''<br>
 
'''Evangelisch-lutherische Kirche in Podstepnoje (damals deutsche Kolonie Rosenheim), Saratower Gebiet'''<br>
Dorf Podstepnoje des Rayons Engels des Gebiets Saratow, Kirow-Str. 39
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Dorf Podstepnoje des Rayons Engels des Gebiets Saratow, Kirow-Str. 39<br>&nbsp;
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== In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR) ==
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* [https://bkdr.de/ https://bkdr.de/]

Aktuelle Version vom 25. April 2022, 09:55 Uhr

Evangelische Kirche in Podstepnoje © Alexander Milewskij, 2021

Von allen deutschen Kirchen der Wolga-Region befindet sich eine der am besten erhalten gebliebenen im Dorf Podstepnoje (früher die deutsche Kolonie Rosenheim, gegründet 1765). Zur relativen Erhaltung dieser lutherischen Kirche trug die längere Nutzung des Gebäudes zu Kulturzwecken bei: Zu Sowjetzeiten war hier ein Dorfclub untergebracht. Auch heute sind in der Kirche noch die Reste des roten Samtvorhangs bemerkbar, der hier nach der Verwandlung der Kirche in einen Freizeitort angebracht worden war.

Bis heute fühlt man in der Außengestaltung der 1886 erbauten Kirche die Nachahmung des Klassizismus, die in Kirchen zu dieser Zeit üblich war. Der Vorraum in Form einer Säulenhalle mit dreieckiger Front im Zentrum der Hauptfassade verleiht der Kirche eine gewisse Festlichkeit. Auch auf den Seitenfassaden sind Säulen platziert, hinter denen sich die Seiteneingänge der Kirche befinden. Bis heute sind die Türen aus Eichenholz und die Fensterrahmen erhalten geblieben, an manchen Stellen ist auch das mit den Fragmenten des Eisenblechs bedeckte Dach noch unbeschädigt geblieben.

Evangelische Kirche in Podstepnoje © Alexander Milewskij, 2021

Im Inneren kann man über die halb zerstörte Treppe, die keine Geländer mehr hat, in die erste Etage hinaufsteigen. Früher mussten sich hier auf den handgeschnitzten Balkonen unter dem halbrunden hölzernen Gewölbe während der Gottesdienste unverheiratete Mädchen und junge Männer aufhalten, während sich die anderen Kirchgänger im Erdgeschoss befanden, wo Sitzbänke für 1.200 Plätze standen.

Die Kirche wurde im Jahre 1886 errichtet, nachdem die vorherige hölzerne Kirche während eines nächtlichen Brandes abgebrannt war. Die Gemeinde zählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast 5.000 Menschen.

Der dreistöckige Turm, der in den 1930er Jahren demontiert wurde, war früher von einer Kuppel mit durchbrochenem Kreuz gekrönt. Die prächtige Innenausstattung der Kirche rundete die Orgel der bekannten deutschen Firma „Walcker“ aus Ludwigsburg ab, die 1886 hergestellt und nach Russland gebracht und in den 1930er Jahren zerstört wurde.

Evangelische Kirche in Podstepnoje © Alexander Milewskij, 2021

Die antireligiöse Politik des Staates und die Emigration des Pfarrers in den Jahren der Sowjetmacht führten dazu, dass sich ein Teil der Gemeinde von Rosenheim einer kirchlichen Organisation anschloss, die mit der Sowjetmacht zusammenarbeiten wollte (ähnlich der Bewegung zum Wiederbeleben der Russisch-Orthodoxen Kirche).

1925 stellte das Gebietskomitee der kommunistischen Partei in einem geheimen Bericht fest, dass es im Dorf eine kirchliche Spaltung gab und die beiden Gruppen von Gläubigen Anspruch auf die Nutzung des Kirchengebäudes erhoben. Daraufhin beschlossen die Behörden 1929 mit Verweis auf die fehlende Einigkeit zwischen den religiösen Gruppen, „die Rosenheimer Kirche den beiden Gruppen der Gläubigen zu entziehen und für Kultur- und Aufklärungszwecke zu nutzen“. Obwohl die Gläubigen wiederholt die Rückgabe des Gotteshauses beantragten, wurde die Kirche nie zurück an die Gemeinde übergeben.

Zurzeit besuchen nicht nur die Nachkommen der 1941 deportierten deutschen Lutheraner die Kirche, sondern auch einfache Touristen.

Text

Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger

Standortinformationen

Evangelisch-lutherische Kirche in Podstepnoje (damals deutsche Kolonie Rosenheim), Saratower Gebiet
Dorf Podstepnoje des Rayons Engels des Gebiets Saratow, Kirow-Str. 39
 

In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR)

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