Das Rigaer Ghetto

Aus goethe.de
Wechseln zu: Navigation, Suche
Ghetto-Museum. Foto: Katrin Wolschke

Jüdische Kultur hatte in Lettland lange Zeit einen festen Platz. Die Verbrechen der Nationalsozialisten setzten dem ein jähes Ende. Der Leidensweg vieler lettischer Juden begann im Rigaer Ghetto.

Versteckt zwischen den großen Backsteinbauten der Rigaer Speicherstadt befindet sich das Ghetto-Museum. Unter freiem Himmel dokumentiert es die Geschichte der Juden und des Holocaust in Lettland. Es liegt symbolisch am äußeren Rand des Bezirks, auf dem die Nationalsozialisten 1941 das jüdische Ghetto errichteten.

Vor dem Zweiten Weltkrieg waren jüdische Traditionen lange ein fester Bestandteil des Rigaer Alltags. Bereits Ende des 16. Jahrhunderts siedelten sich die ersten Juden auf dem Gebiet des heutigen Lettland an. Bis ins 20. Jahrhundert entwickelte sich die Hauptstadt zum politischen und kulturellen Zentrum der 70 000 lettischen Juden. Etwa die Hälfte von ihnen lebte in Riga – die jüdische Minderheit machte ein Zehntel der Stadtbevölkerung aus.

Mit dem Einmarsch der Streitkräfte Hitler-Deutschlands begann im Juli 1941 die grausame Zerstörung jüdischen Lebens in Lettland. Systematisch wurden Juden verfolgt und erschossen, bei Pogromen brannten fast alle Synagogen der Stadt nieder. In dem ärmlichen Arbeiterviertel der Moskauer Vorstadt wurde zwischen heutiger Lāčplēša und Lauvas iela, Kalna und Maskavas iela das Ghetto eingerichtet, in das die Rigaer Juden übersiedeln mussten. Vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, mussten sie Zwangsarbeit für die Kriegswirtschaft verrichten.

Gesichert wurde der mit Stacheldraht umzäunte Komplex durch die lettische Hilfspolizei des deutschen Sicherheitsdienstes. 30 000 Menschen lebten hier eingepfercht auf engstem Raum. Ein kleines Holzhaus aus dem ehemaligen Ghetto, das 2011 auf das Museumsgelände versetzt wurde, lässt die katastrophalen Zustände erahnen.

Die Ruine der Synagoge in der Moskauer Vorstadt. Foto: Katrin Wolschke

Nur wenige Ghetto-Inhaftierte überlebten die Internierung. Die zahllosen Namen der Opfer reihen sich auf langen Ausstellungswänden des Museums aneinander. Die erste Massentötung erfolgte Ende 1941 – wegen Platzmangels. An nur zwei Tagen wurden 25 000 lettische Juden aus dem Ghetto in den Wald von Rumbula getrieben und dort erschossen. Vor allem aus West- und Mitteleuropa deportierte Juden rückten in das Ghetto nach.

Wand mit Namen der ermordeten Juden. Foto: Katrin Wolschke

Unter den deutschen Besatzern verbreitete sich die antisemitische Propaganda auch in der lettischen Bevölkerung. Nach dem schmerzlichen Verlust der Unabhängigkeit Lettlands 1940 und dem Terror der sowjetischen Besatzung empfingen viele die Deutschen als Befreier. Der von den Nationalsozialisten propagierte „jüdische Bolschewismus“ wurde für viele zum gemeinsamen Feind. Doch gab es auch Widerstand und Menschen, die versuchten, Juden vor dem sicheren Tod zu bewahren. Der wohl bekannteste ist der Hafenarbeiter Žanis Lipke, der zusammen mit seinen Helfern mehr als 50 Juden aus dem Ghetto retten konnte.

Haus aus dem Rigaer Ghetto und Baum der Hoffnung. Foto: Katrin Wolschke

Zu einer zweiten großen „Ghetto-Liquidierung“ kam es im März 1942. 2 000 für arbeitsunfähig befundene Juden wurden in den Wald von Biķernieki gebracht und dort getötet. Im Zuge der „Endlösungspläne“ der Nationalsozialisten wurde das Ghetto ab Juli 1943 aufgelöst. Die verbliebenen Gefangenen wurden in das KZ Kaiserwald im Norden von Riga deportiert, wo sie getötet oder in andere Vernichtungslager weitertransportiert wurden. Bis Kriegsende verlor Riga fast seine gesamte jüdische Bevölkerung. Das Baltikum wurde als erstes europäisches Gebiet von den Nationalsozialisten für „judenfrei“ erklärt.

Dass das Ghetto-Museum erst rund 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von einem jüdischen Verein gegründet wurde, zeugt von der späten und heute noch zögerlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust und der lettischen Mittäterschaft. Neben Warschau ist Riga die zweite Hauptstadt postsozialistischer Staaten, in der ein Ghetto-Museum eingerichtet wurde.

Standort- und Besucherinformation

Rigaer Ghetto-Museum
Maskavas iela 14a, Eingang von der Krasta iela
Rīga, LV–1050
LETTLAND
Telefon: +371 67791784

Öffnungszeiten: Sonntag bis Freitag von 10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt frei, Spenden erwünscht

Links

Deutsche Spuren in Lettland

Ein Projekt des Goethe-Instituts Lettland.
Autorin: Katrin Wolschke