Hotel LUX

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Hotel LUX © Alexandr Pimenow

Die Twerskaja gilt seit Urzeiten als reichste und repräsentativste Straße in ganz Moskau, und viele aristokratische Familien errichteten hier ihre Häuser. Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich der Charakter der Häuser zusammen mit ihren neuen Hausherren jedoch zu wandeln. Das früher der Syltykow-Familiendynastie gehörende Anwesen wurde von dem bekannten Bäcker Iwan Maksimowitsch Filippow erworben, der hier einen Komplex aus seiner Bäckerei und einem Handelshaus mit Imbiss- und Kaffeestube errichtete. Seine erstklassigen Erzeugnisse und seinen Erfindergeist kannte ganz Moskau: die Städter erzählten sich gegenseitig verschiedenste Gerüchte und Legenden. Am bekanntesten ist eine Geschichte, die der berühmte Schriftsteller Wladimir Giljarowski weitererzählte: der Generalgouverneur von Moskau Arseni Zakrewski bekam einmal zum Frühstück einen Hasen vorgesetzt, in dem er eine unerwartete „Füllung“ entdeckte – eine gebackene Schabe. Der sofort herbeizitierte Bäckermeister Filippow verspeiste vor den Augen des erstaunten Zakrewski die Schabe aus dem Hasen und behauptete, dass dies eine Rosine gewesen sei. Nach der Rückkehr in seine Backstube warf Filippow sofort eine Handvoll Rosinen in den Brötchenteig – so kreierte er eines seiner „Firmengerichte“.

Von 1891 bis 1897 baute der Erbe von Filippow, Dmitrij Iwanowitsch, das alte Gebäude grundlegend um, wobei er ihm einen pompösen eklektischen Anblick verlieh. Damit waren die Veränderungen jedoch noch nicht abgeschlossen: 1907 wurde das gesamte Gebäude mit einer zusätzlichen Etage versehen und im Jahr 1911 baute der Architekt N. A. Eichenwald die Hoteleingangshalle in der linken Hälfte des Komplexes um. So erschien gleichzeitig neben dem Handelshaus eines der prunkvollsten Hotels der Stadt: Das „Frantsiya“ („Frankreich“), welches kurze Zeit später in LUX umbenannt wurde. Darin befanden sich 550 Zimmer, in denen viele bekannte Literaturschaffende übernachteten, darunter der Freund des Hausherren Welimir Chlebnikow.

Nach der Revolution wurde das Gebäude verstaatlicht; der Bäckerladen wurde jedoch nicht geschlossen, sondern setzte seine Arbeit als staatliches Unternehmen fort. Das Hotel wurde 1919 zu einem Wohnheim des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten, jedoch wurde es bereits Mitte 1920 belegt durch das Wohnheim der Kommunistischen Internationale (Komintern), einer Organisation, welche die kommunistischen Parteien der ganzen Welt in der III. Internationale vereinte. Viele Funktionäre der kommunistischen Weltbewegung residierten hier während ihrer Moskau-Reisen, darunter der Bulgare Georgi Dimitroff, der Tscheche Klement Gottwald, der Italiener Palmiro Togliatti, der Franzose Maurice Thorez, der Chinese Zhou Enlai und der Vietnamese Ho Chi Minh. Die Pässe wurden bei Ankunft eingesammelt, als Ersatz wurden Ausweise ausgegeben, ohne die das Hotel weder betreten noch verlassen werden konnte. Die Aufenthaltsdauer wurde auf die Minute genau erfasst. Im Jahr 1934 erhielt das Gebäude noch einen Überbau.

Einen wesentlichen Teil der Bewohner im Wohnheim auf der Twerskaja stellten die deutschen Kommunisten. Unter ihnen waren auch solche, die sich in der Folgezeit in der politischen Arena bewährten. So wohnte im LUX Wilhelm Pieck, der einer der Gründerväter der in der DDR regierenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war und 1949 zum ersten (und letzten) Präsidenten der DDR wurde.

Auf der Twerskaja lebte seit 1933 auch ein Mitstreiter: Walter Ulbricht, der die SED ebenfalls mitbegründete und die DDR nach dem Tod von Pieck leitete, jedoch schon nicht mehr als Präsident (da dieser Posten abgeschafft wurde), sondern als Vorsitzender des Staatsrates der DDR. Er bekleidete zudem von 1950 bis 1971 den Posten des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED und auf seinen Befehl hin wurde 1961 die berüchtigte Berliner Mauer errichtet.

Einige Zeit lebte im Hotel auch Ernst Thälmann, ein angesehener Funktionär und späterer Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). 1933 wurde er auf Weisung von Adolf Hitler inhaftiert und nach 11 Jahren, 1944, im Konzentrationslager Buchenwald erschossen.

Von 1935-1941 wohnte im Hotel LUX Herbert Wehner, damals Mitglied des Zentralkomitees der KPD. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er nach Hamburg und verblieb anschließend in der BRD, wo er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) wurde. Von 1966 bis 1969 war Wehner Minister für innerdeutsche Angelegenheiten unter der Regierung von Kurt Georg Kiesinger und war verantwortlich für die Kontakte zwischen BRD und DDR.

Nicht weniger originell war das Schicksal eines anderen ständigen Bewohners des Hotels in der Twerskaja Straße: Die Rede ist von Ernst Reuter, der hier unter dem Pseudonym „Ernst Friesland“ wohnte. Als Teilnehmer des Bürgerkriegs in Russland auf Seiten der Bolschewiki bekleidete er den Posten des Kommissars für Angelegenheiten der Deutschen des Wolgagebiets, später kehrte er nach Deutschland zurück und trat in die KPD ein. Bald darauf jedoch war er vom Kommunismus ernüchtert und ging zur SPD über. Nach dem Krieg wurde Reuter 1947 zum regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt. Die sowjetische Seite erkannte diese Wahl nicht an, sodass sich die Befugnisse von Reuter auf die drei Westsektoren Berlins beschränkten. Den Namen Ernst Reuter tragen heute ein Platz im Berliner Stadtteil Charlottenburg und eine U-Bahn-Station.

Neben Funktionären der kommunistischen Bewegung wohnten im Hotel LUX auch andere Personen. So hielt sich hier einige Zeit Richard Sorge auf, ein deutscher Journalist und sowjetischer Kundschafter. In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre wurden viele deutsche Kommunisten, die im LUX wohnten, Opfer der stalinistischen Repressalien.

1943 wurde die Komintern aufgelöst und bald darauf deren Wohnheim liquidiert, die verbliebenen ständigen Bewohner verstreuten sich. Im Jahr 1953 wurde nach einer Restauration erneut ein Hotel im Gebäude eröffnet, welches die Bezeichnung „Zentralnaya“ erhielt.

Heute wird das Hotel, das wieder in LUX umbenannt wurde, restauriert. Die Blöcke der ehemaligen Filippow-Bäckereien wurden zusammen mit anderen Hilfsbauten beseitigt – an ihrer Stelle ist ein Neubau geplant.

Standortinformationen

Hotel LUX

Moskau, Twerskaja Str., 10

Kooperationspartner

Überregionale gesellschaftliche Organisation „Jugendring der Russlanddeutschen“ (JdR)

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AOV „Internationaler Verband der deutschen Kultur“

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