Karl-Liebknecht-Schule (Schule Nr. 1231, benannt nach W. D. Polenow)

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Karl-Liebknecht-Schule (Schule Nr. 1231, benannt nach W. D. Polenow) © Alexandr Pimenow

Seit Beginn des 17. Jahrhunderts befand sich an diesem Ort die Christi-Erlöser-Kathedrale an den Armengräbern. Im Volksmund wurde sie auch „Gotteshaus der Heiligen Paraskeva Pyatnitsa an den Armengräbern“ genannt. Die steinerne Kirche wurde in den Jahren 1694 bis 1696 errichtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie mit einem Glockenturm und einem neuen Refektorium im Biedermeier-Stil ausgestattet. Die Erlöser-Kathedrale wurde 1934 zerstört; nach einem Jahr wurde an ihrer Stelle nach einem Entwurf der Architekten Michail Barschtsch und Georgiy Zoendblat ein Schulgebäude errichtet. 1935 zog die Karl-Liebknecht-Schule in das Gebäude ein.

Diese Schule wurde im Januar 1924 in der Petroverigski Gasse in den Räumen der ehemaligen Petropawlowsker Schule gegründet, welche bis zum Ersten Weltkrieg zur Lutheranischen Kirche der Heiligen Peter und Paul gehörte. Der Unterricht erfolgte in deutscher Sprache. Die Schule änderte mehrfach ihren Sitz und „wanderte“ durch ganz Moskau. 1932 wurde sie nach Karl Liebknecht benannt – einer der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der im Jahr 1919 zusammen mit Rosa Luxemburg ermordet wurde.

Karl-Liebknecht-Schule (Schule Nr. 1231, benannt nach W. D. Polenow) © Alexandr Pimenow

Direktor der Schule zu Beginn der Dreißigerjahre war Helmut Schinkel, ein bekannter Pädagoge, der den sowjetischen „Marsch der Luftfahrer“ ins Deutsche übersetzte. Seinem Nachfolger Karl Ziljasko gelang es, die Schule in das Gebäude an der Pretschistenka überzusiedeln, das speziell hierfür gebaut wurde. In die Schule kamen viele emigrierte Pädagogen, die Deutschland nach der Machtergreifung Adolf Hitlers verlassen hatten. Die Karl-Liebknecht-Schule wurde gefördert durch die Aktiengesellschaft Orgametall, welche metallurgische Werke errichtete. In einem dieser Werke wurde für die Schüler praktischer Unterricht organisiert. An die Schule wurden Sommer-Pionier-Ferienlager angebunden, von denen sich eines bei Kaluga an der Oka, ein anderes am Schwarzen Meer in Anapa befand. Die Schüler waren aktiv an den Aufnahmen des ersten Tonfilms „Zerrissene Schuhe“ beteiligt. Für das Musikorchester der Schule wurden Instrumente aus Deutschland besorgt. Zu Beginn des Jahres 1938 zählte die Karl-Liebknecht-Schule 750 Schüler.

Unter den Schülern an der Pretschistenka befand sich Wolfgang Leonhard – der Sohn von Susanne Leonhard, die Karl Liebknecht persönlich kannte. Im Jahr 1935 emigrierte er mit seiner Mutter aus Deutschland über Schweden und Finnland in die UdSSR, wo er die Karl-Liebknecht-Schule besuchte. Bald darauf wurde seine Mutter inhaftiert, der „konterrevolutionären trotzkistischen Tätigkeit“ beschuldigt und nach Workuta verbannt, wobei Wolfgang in Moskau blieb. Er arbeitete anschließend für eine Zeitung und beim Radiosender des Nationalkomitees „Freies Deutschland“, der eine antifaschistische Tätigkeit ausübte. Im Jahr 1945 kehrte Wolfgang Leonhard als Teil der „Gruppe Ulbricht“ (einem der Führer der KPD) nach Ost-Deutschland zurück, war jedoch bereits bald vom Stalinismus enttäuscht und flüchtete aus der DDR über die Tschechoslowakei nach Jugoslawien, und anschließend in die BRD. Dort begründete er die Unabhängige Arbeiterpartei Deutschlands mit, die den jugoslawischen Ideen des Aufbaus des Sozialismus nahestand. Später wurde Leonhard zu einem bekannten Sowjetologen, der in den führenden europäischen und amerikanischen Universitäten unterrichtete und ein Buch über das Leben in der DDR schrieb. Wolfgang Leonhard verstarb 2014 in der Stadt Daun in Rheinland-Pfalz.

Karl-Liebknecht-Schule (Schule Nr. 1231, benannt nach W. D. Polenow) © Alexandr Pimenow

Anders verlief das Schicksal von anderen Schülern der Karl-Liebknecht-Schule – zum Beispiel das der Brüder Markus und Konrad Wolf. Als Söhne eines Kommunisten kamen sie 1934 in die UdSSR und gingen zur deutschen Schule an der Pretschistenka, später zur Schule Nr. 110 des Stadtbezirks Krasnopresnenkiy. Anschließend arbeitete Markus als Sprecher, Redakteur und Kommentator des Senders des Komitees „Freies Deutschland“, während Konrad in der Roten Armee diente und an der Front kämpfte. Er bekam den Orden des Roten Sterns und die Medaille „Für Verdienste im Kampf“ verliehen. 1945 lebten beide Brüder in Berlin, wo Markus seine journalistische Tätigkeit beim Berliner Radio fortsetzte (er berichtete unter anderem über die Nürnberger Prozesse) und Konrad sich bei der Arbeit in der sowjetischen Militärverwaltung mit der Ausbildung von Regisseuren beschäftigte. In der Folgezeit wurde Konrad Wolf zu einem bekannten ostdeutschen Filmregisseur und 1965 mit dem Posten des Präsidenten der Akademie der Künste der DDR betraut, den er bis zu seinem Tod im Jahr 1982 bekleidete. Ein halbes Jahr vor seinem Tod unternahm Konrad Wolf eine Reise nach Moskau und besuchte die Stätten seiner Kindheit. Er hatte vor, einen autobiografischen Film über die Abenteuer von drei Freunden im Moskau der Dreißigerjahre zu drehen, schaffte dies jedoch nicht mehr. Sein Bruder Markus Wolf schlug eine Laufbahn in der Außenaufklärung der DDR ein, die er von 1952 bis 1986 leitete. Nach seinem Rücktritt war er literarisch tätig, bis er 2006 verstarb.

Wolfgang Leonhard schrieb in einem seiner Bücher: „Möglicherweise hat die Geschichte der DDR in der Karl-Liebknecht-Schule begonnen.“

Der letzte Eintrag im Weisungsbuch der Karl-Liebknecht-Schule ist datiert vom 23. Januar 1938. Am darauffolgenden Tag fasste das Organisationsbüro des Zentralkomitees der Gesamtrussischen Kommunistischen Partei den Beschluss „Über die Reorganisation der nationalen Schulen“, in welchem solche Schulen als „Brutherde eines bürgerlich-nationalistischen, antisowjetischen Einflusses auf die Kinder“ bezeichnet wurden. Bald darauf wurde die Karl-Liebknecht-Schule geschlossen. Viele deutschstämmige Lehrer wurden danach Repressalien ausgesetzt, unter ihnen Karl Ziljasko, Bruno Brehmke, Heinz Lüschen, Georg Herschinski und Otto Brandt.

Im Schulgebäude in der Pretschistenka wurde nach 1938 weiter gelehrt, jedoch ohne deutsche Spezialisierung. Heute befindet sich hier die Schule Nr. 1231, benannt nach W. D. Polenow mit einer Vorschulabteilung.

Standortinformationen

Karl-Liebknecht-Schule (Schule Nr. 1231, benannt nach W. D. Polenow)
Moskau, Pretschistenka Str., 12/2, Geb. 8