Römisch-katholische Kirche in Kamenka (damals deutsche Kolonie Bähr), Saratower Gebiet

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Römisch-katholische Kirche in Kamenka © Alexander Milewskij, 2020

Das heutige Kamenka wurde 1765 als deutsche katholische Kolonie gegründet. Ihr ehemaliger deutscher Name „Bähr“ stammt vom Namen des ersten Vorstehers und ihr heutiger russischer Name vom gleichnamigen Fluss.

Die deutsche Architektur hinterließ im heutigen Kamenka bedeutend mehr Spuren als in den benachbarten Dörfern: mehrere Dutzend Holz- und Ziegelsteinhäuser, eine Scheune für die Getreidelagerung, Lagerräume und Geschäfte.

Nach wie vor zieht die majestätische katholische Kirche zu Ehren der Geburt der Heiligen Jungfrau Maria – ungewöhnlich prunkvoll und genauso seltsam in diesem kleinen russischen Dorf – zahlreiche Touristen an. Das Gebäude der Kirche passt nicht in die Dorflandschaft, harmoniert nicht mit ihr, ist aber das beliebteste Motiv für Fotos und eine Zierde für das Dorf.

Römisch-katholische Kirche in Kamenka © Alexander Milewskij, 2020

Heute ist es schwierig, ihre frühere Größe und den Umfang zu beurteilen. Die Innenausstattung ist vollständig verloren gegangen – konnte man vor 10 Jahren noch mühelos die Fresken fotografieren, die Jesus und die Engel darstellten, so ist heute nicht mehr viel davon übrig: Die Wandmalereien sind vom Zahn der Zeit völlig vernichtet, die aus Eichenholz gefertigten Türen wurden ausgeschlagen und der Glockenturm stürzte 2004 durch einen Blitzschlag ein. Aber auch in ihrem jetzigen Zustand ist die Kirche, die unter der Leitung des deutschen Ingenieurs König aus Katharinenstadt (heute Marx) errichtet wurde, immer noch harmonisch und besticht durch ihre besondere, tragische Schönheit.

Während die Kirche gebaut wurde, lebten in Kamenka etwas mehr als 3.000 Menschen. Wie die katholische Presse 1906 schrieb, „mussten die Bewohner des Dorfes wegen der neuen Kirche große Opfer bringen und Hunger, Not und Elend ertragen“. Aber das Gotteshaus, das durch Spendengelder der Gemeinde errichtet wurde, konnte es in seiner Schönheit mit den besten Exemplaren der deutschen Architektur aufnehmen. Die Innenausstattung wurde bei dem bekannten Südtiroler Holzschneider Ferdinand Stuflesser in Auftrag gegeben, der ein unübertrefflicher Meister auf dem Gebiet der Herstellung von Statuen und Altären war.

Römisch-katholische Kirche in Kamenka © Alexander Milewskij, 2020

1935 wurde die Kirche geschlossen. In den Jahren der Sowjetmacht wurde das ehemalige Kirchengebäude der Kirche, ein großartiges Architekturdenkmal, ohne Bedacht als Lagerraum und Traktorenhalle benutzt. Der letzte Pfarrer der Gemeinde, Leonard Eberle, wurde 1929 verhaftet. Im September 1941 wurden die Deutschen aus Kamenka deportiert und das Dorf in einen Lagerpunkt vom Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) umgewandelt.

Die Bewohner des Dorfes erinnern sich, dass Anfang der 1990er Jahre ein katholischer Pfarrer in das Dorf kam und versuchte, die noch vorhandenen Fresken zu retten und das Gotteshaus irgendwie zu schützen und zu restaurieren, indem er das Dach erneuerte und die Mauerung wiederherstellte. Doch die wunderschöne Kirche blieb halb zerstört. Es wäre schade, diesen Schatz vollständig zu verlieren, den dieses Gotteshaus noch heute darstellt – ein prächtiges Denkmal der Geschichte und Architektur der Russlanddeutschen.

Text

Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger

Standortinformationen

Römisch-katholische Kirche in Kamenka (damals deutsche Kolonie Bähr), Saratower Gebiet
Gebiet Saratow, Rayon Krasnoarmejskij, Dorf Kamenka, Sowjetskaja Str. 23
 

In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR)

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