Rownoje (ehemals deutsche Kolonie Seelmann), Gebiet Saratow

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Ehemalige Stadtvilla von Woronzow in Rownoje (heute Verwaltungsgebäude) © Alexander Milewski, 2020

Die deutsche katholische Kolonie Seelmann wurde im Jahr 1767 gegründet und nach ihrem ersten Vorsteher benannt. Der russische Name Rownoje (abgeleitet vom russischen Wort für „Flachland“), der dieser Siedlung gegeben worden war, entsprach den Besonderheiten der Steppenlandschaft. Heute erinnert hier an die Deutschen nur noch der im Zentrum des Dorfes aufgestellte Gedenkstein, in den das Gründungsdatum von Seelmann und die Zeilen aus dem Manifest von Kaiserin Katharina der Großen, die die Einwanderer hierher eingeladen hatte, gemeißelt sind.

Seine höchste Blütezeit erlebte Seelmann Anfang des 20. Jahrhunderts, als es sich zur Stadtsiedlung mit gut entwickelter Industrie entfaltet hatte. Sieben Anlegestellen für Dampfer an der Wolga verwandelten die deutsche Kolonie in ein großes Handelszentrum und in einen für das Gouvernement Saratow wichtigen Umschlagplatz für den Getreide- und Holzhandel.

Anfang des 20. Jahrhunderts lebten hier mehr als 7.500 Menschen. Im Dorf wurde eine Backsteinbrennerei betrieben und es gab mehrere Sägewerke und Mühlen, eine Post, zwei Krankenhäuser, eine Apotheke und acht Schulen. Die in Seelmann entstandenen Bauten wie zum Beispiel das Sägewerk von Stoll oder die Fabrik von Henning kamen der Größe von städtischen Bauwerken nahe.

Römisch-katholische Friedhofskapelle in Rownoje © Alexander Milewski, 2020

Im Jahr 1900 wurde im Dorf mit dem Bau einer katholischen Kirche aus Stein begonnen, die zum ganzen Stolz der Einwohner wurde. Nach Errichtung der Sowjetmacht wurde Priester Johann Zimmermann im Jahr 1920 verhaftet und beschuldigt, „gegen die Beschlagnahme des Kirchenbaus Widerstand geleistet zu haben“. Alle anderen Kirchendiener wurden in das Strafverfahren gegen eine Gruppe deutscher katholischer Geistlicher der Wolgaregion verwickelt und erschossen.

Die Kirche wurde im Jahr 1934 zu einem Kulturzentrum umgebaut und die Glocken wurden für den Bau von Traktoren umgeschmolzen. Im Jahr 1941 wurden alle Einwohner deutscher Abstammung aus dem Dorf deportiert, und ihre majestätische Kirche wurde anschließend komplett zerstört.

Auf dem Dorffriedhof ist lediglich die katholische Maria-Hilf-Kapelle, die 1907 mit Geldern des katholischen Kaufmanns Friedrich Kwiatkowski gebaut worden war, wie durch ein Wunder erhalten geblieben. Laut dessen Testament ging die Kapelle an die deutsche katholische Gemeinde. In der Kapelle war ein handgeschnitztes Kruzifix aufgestellt, das in der Werkstatt von Stuflesser gefertigt und aus dem italienischen Südtirol hierhergebracht worden war. Ortseinwohner erzählen, dass in den 1990er Jahren ein Nachkomme der Seelmann-Deutschen aus Sibirien angereist war, um zu versuchen, die Kapelle allein instand zu setzen und das Dach neu zu decken.

Römisch-katholische Kirche in Rownoje. Turm © Alexander Milewski, 2020

Bis heute gehen in Rownoje ein paar Legenden um, die Besuchern von Ortseinwohnern gern erzählt werden. Eine von ihnen weiß zu berichten, dass ein unterirdischer Gang aus der Friedhofskapelle in eine einstöckige Villa im Zentrum des Dorfes führt. Die rote Backsteinvilla, die im Jahr 1890 in der deutschen Kolonie entstanden war, gehörte einst dem russischen Kaufmann und Gutsbesitzer Graf Woronzow, der nachdem ein Erdrutsch im Jahr 1884 90 seiner Holzlager vernichtet hatte, pleiteging und die Kolonie verließ.

Der Graf vermachte seine Stadtvilla dem Klerus von Samara, der im Jahr 1903 dort ein geistliches Seminar eröffnete. Später waren hier eine Berufsschule für Pädagogik und eine Oberschule untergebracht und seit 1983 hat die Administration des Verwaltungsdistrikts Rownoje ihren Sitz in diesem Gebäude.

Text

Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger

Standortinformationen

Rownoje (ehemals deutsche Kolonie Seelmann), Gebiet Saratow
Gebiet Saratow, Verwaltungsdistrikt Rownoje, Dorf Rownoje, Sovetskaia Str. 28
 

In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR)

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